Nisha Schadrachs letzter Traum

Aus Athyria Wiki
Spielwelt(en):Athyria
Urheber:innen:Wolfgang Weber, Jonas Gerhard
Mitwirkende:
Jahr:2023

Nisha Schadrachs war die Gründerin des Lilienordens, auch genannt Orden vom Letzten Schwert der Rhiannon.

Auf dem Markt der Wispa im Jahre 223 n.R. wurde der Letzte Traum Nisha Schadrachs, der in einer Mondenqualle erhalten war, von Simarin und Runia in Wort und Bild zugänglich gemacht. Im Nachfolgenden eine Abschrift des Wortlautes und eine Widergabe der zugehörigen Bilder.

Der Text stammt von Wolfgang, die Bilder von Jonas


Vor dem ersten Bild

"Es geht zu Ende. Und es ist gut. Ich habe vollbracht was ich vollbringen konnte. Der Bote wird kommen und keiner muss ihn rufen. Drei Pfade hatte das Schicksal für mich vorgesehen. Jeden bin ich gegangen, wo es Anderen nicht einmal vergönnt war, einem zum Ende zu folgen."

Erstes Bild

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"Laria. An Dich erinnere ich mich. Mit Dir hat Alles angefangen. Mutter hat mir Puppen gemacht. Und Tiere. Aus Fell und Wolle. So weich, kuschelig und einfach. Sie waren meine Freunde. Doch eine von den Besonderen habe ich nie bekommen. Eine von denen, die die Augen bewegen konnten, wenn man sie hinlegte. Die waren für das Geschäft. Mutter sagte immer, die müsse ich mir schon selber machen. Und so tat ich es. Ewig lange kam es mir vor, als ich da in einer Ecke der Werkstatt saß. Aber ich habe es fertig gebracht und sie war mein ganzer Stolz. Laria. Mutter und Vater waren erst eher bestürzt, als sie sie sahen. Sie sagten, dass die Augen sich bewegten. Aber das war doch was sie sollten. Was sie meinten, wurde mir erst später bewusst. Jedenfalls war Laria es, die den Pfad meines ersten Schicksals vorgab. Zuerst an die Zauberschule, dann an die Akademie. Artefaktmagierin. Es blieb nicht bei den Puppen, ich blieb nicht an der Akademie."

Zweites Bild

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"Naron und die Kinder. Manchmal kommt es mir wie ein Traum vor. Wie ein anderes Leben. Dabei war es das Meinige. Mein erster Pfad.

Ich war glücklich, zufrieden und ruhig. Zufriedenheit. Über lange Jahre. Das war es, was diesen Pfad am Besten beschreibt. Zufriedenheit. Und Unwissen. Nicht, dass ich damals dümmer gewesen wäre als heute, oder ungebildeter. Ich ging als Jahrgangsbeste von der Akademie ab. Die waren alle perplex, dass eine Artefaktmagierin den Preis gewonnen hat. Ich wurde zuerst Angestellte einer angesehenen Werkstatt, dann Meisterin und dann habe ich sie übernommen. Schließlich habe ich Naron kennengelernt und mit ihm unsere Kinder groß gezogen. Hab sie erwachsen werden und ihrer eigenen Wege gehen sehen.

Ich war Nisha Schadrach, die Meisterin, Ehefrau und Mutter.

Dies war mein erster Pfad."


Drittes Bild

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"Langsam habe ich angefangen das Alter zu spüren. Die Kinder waren aus dem Haus, haben angefangen ihre eigenen Familien zu gründen. Naron war von mir gegangen. Ich habe geweint. Er hat gelächelt. Alle waren wir bei ihm. Er durfte im Kreise seiner Kinder gehen. Er war zufrieden. War er die Zufriedenheit? Meine Zufriedenheit? Vielleicht war sein Todestag einer der Wendepunkte in meinem Leben. Eine Weggabelung. Vielleicht waren die Gabelungen schon immer da. Nur habe ich nicht darauf geachtet, weil er mein Wegweiser war. Nun war ich wieder allein. Ich war die Meisterin meiner eigenen Werkstatt. Ich war müde. Ich versuchte einen Nachfolger zu finden, einen meiner Gesellen heranzuziehen. Auch das sah gut aus. Ich hatte mir sogar schon ein Häuschen ausgeguckt. Gerade weit genug weg von der Stadt, um den Blick auf das Meer in Ruhe genießen zu können. Weiß gestrichen mit einem kleinen Garten und einer hölzernen Bank an der Mauer.

Und dann kam dieser Auftrag. Ein Bote der Magokratie brachte das Ding. Es sei beschädigt und ich solle es reparieren. Was es war, wollte er mir nicht sagen, vielleicht wusste er es selbst nicht. Die Reparatur war nicht schwer. Es war physisch etwas abgebrochen und hatte die Matrize des Auslösers beschädigt. Der Thesiskern war unbeschadet. Den Auslöser wiederherzustellen, hätte einen Gesellen einen oder zwei Tage gekostet. Aber mich wurmte es, nicht zu wissen, was es war. Wozu es gut sein sollte. Unglaublich potent erschien der Kern unter dem Analysefokus. Und Komplex. Nein, nicht nur Komplex. Verworren und fremd. Zweimal schickte ich den Boten weg. Und in der zehnten Nacht klopfte es an meinem Fenster. Ein junger Mann. Seltsame Kleidung unter dem Mantel. Rot und weiß und Schwerter in seinem Wappen.

Ich wollte ihn schon fortschicken. Doch er wusste Bescheid. Er wusste, was das Ding war. Er zeigte mir die Hinweise für die Analyse, er benannte die Komponenten.

Und so sah ich es. Mit einem Mal wusste ich es. Niemals dürfte dieses Artefakt zurück an die Magokratie. Sie würden es einsetzen. Irgendwann. Das durfte nicht sein. Das war gegen die Welt.

Der junge Mann wollte, dass ich es ihm übergebe. Doch Nein, das konnte ich auch nicht tun. Und so holte ich das Ätzbad hervor. Die Metallsäge, den Trennmeißel, den Matrizensprenger. Als er erkannte, was ich tat, erschrak er. Doch dann ging er mir zur Hand und in tiefen Nachtstunden zerlegten wir es in all seine Einzelteile. Vernichteten die Matrizen und brachen den Thesiskern auf. Es bedurfte keiner Worte. Als wir fertig waren, packte ich alles was ich an tragbarem Wert besaß und ging mit ihm, denn jagen würden sie mich Zeit meines Lebens für das was ich getan hatte."

Viertes Bild

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"Tenzin Berani hieß der junge Mann, er hätte vom Alter her zu meinen Kindern gepasst. Ich ging mit ihm fort, segelte über das Meer und bereiste die Nebelpfade. Hin zu den Seinen zu einem Ort, einer Feste, die sie die Eiserne Arche nannten. Er wurde mein erster Lehrer. Ich erfuhr in wenigen Monaten mehr Neues, als in einem Jahr an der Akademie. Doch nichts über Handwerk oder Magie. Viel mehr darüber, was dahinter steckt. Die großen Zusammenhänge der Welt. Und über die Welt hinaus. Die Verhältnisse der Ewigen und der Welt zu den Ewigen. Das, was seit meinen Kindertagen Glaube und Mythen waren, rückte in einen handfesten Kontext. Sie hatten eine wissenschaftliche Sichtweise auf Übernatürliches und ließen mich begreifen, wie alles zusammenhängt. Sie zeigten mir, dass ich nicht nur ein Wesen war, dass in der Welt vor sich hin lebte, sondern dass ich ein integraler Bestandteil Athyrias bin und dass mein Wille es vermag, in dem Stoff aus dem die Welt selbst geschaffen wurde, seinen Abdruck zu hinterlassen. Meinen Abdruck. Ich kleines Wesen wäre in meinem Handeln so frei und mächtig, dass meine Entscheidungen und mein Tun in der Lage sein könnten, von den Ewigen bemerkt zu werden, gar Einfluss auf sie zu haben.

Einher mit diesem Wissen ging die Erkenntnis, dass sie, und nun wohl auch ich, umringt waren von Feinden. Von solchen, die diese Gedanken nicht zulassen wollten. Daher auch die Schwerter in ihrem Wappen. Daher wurde Tenzin mein erster Lehrer auch im Kampf. Obgleich schon bald klar wurde, dass ich ihn an Geistesgaben übertraf sobald sich mein Bildungsstand dem Seinen annäherte war ebenso klar,  dass ich im Umgang mit der Waffe auf ewig die Schülerin bleiben würde wo er der Meister war."

Fünftes Bild

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"Über die Zeit von vielen Monaten, oder gar ein paar Jahren, es verschwimmt ob der Ereignisse, die danach folgten, wuchsen sie mir ans Herz. Die Richtlinien, die sie sich gegeben hatten, die Aufgabe derer sie sich verschrieben hatten. Es fühlte sich so richtig an. Die Regeln waren keine Regeln, sondern die natürlichsten und naheliegendsten Verhaltensweisen für mich. Als ich die Zusammenhänge verstanden und sie selbst durchdacht hatte, leiteten sich für mich ganz von selbst diejenigen Handlungsweisen ab, die sie auch für geboten hielten. Als ich Tenzin eines Tages darauf ansprach, dass ich mich mit dem Gedanken trüge, eine der Ihren zu werden, da hat er nur gelächelt und gemeint in meinem Innersten wäre ich das schon lange und die Prüfungen und Aufgaben die vor meinem Schwur lägen, wären für mich so einfach wie überflüssig. Und so war es dann auch. Sie befragten mich, doch waren es eher Stunden des gemeinsamen Philosophieren. Sie prüften mich, doch ich prüfte sie auch.

Ich stieg auf einen Berg und verbrachte dort einen Tag lang, um mich zu verabschieden. Nicht von den Wesen, die ich kannte, doch um der Vorstellung von der Welt, die ich schon verworfen hatte, ein endgültiges Lebewohl mitzugeben. Ich stellte mir vor wie sich das Netz der mannigtausend Pfade vor mir ausgebreitet hatte und sich mit meiner Ausbildung, meinem Mann und meinen Kindern immer weiter von einem losen Geflecht verfestigte und eingeengte zu einer breiten Straße, die in eine bestimmte Richtung führte. In Richtung dieses kleinen weißen Häuschens am Meer. Ich stellte mir vor, wie ich diese Straße mit einem Hieb zerschlug, das Häuschen hinweg fegte in jener Nacht, in der ich die Waffe der Magokratie vernichtete. Da breitete sich das Netz wieder aus. Nicht mehr so symmetrisch und rein wie zu meiner Kinderzeit. Es hatte nun Richtungen, in die ich nicht mehr gehen konnte, aber Tausende in die ich mich schon hätte wenden können."


Sechstes Bild

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"Ich verbrachte auch die ganze Nacht auf dem Berg, unter den Sternen. Ich begrüßte sie und sah, wie sich das Netz abermals zusammenziehen würde. Zu einem neuen Pfad. Fester und zielgerichteter als der Erste. Schmaler und geradliniger. Stark und sicher.

All die möglichen Wege, die ich verwarf, weil sie meiner Moral entgegenstanden, verblassten. Einer nach dem Anderen. All die möglichen Wege, die ich mir versagte, weil sie einfach gewesen wären, die Wege der Feiglinge, die Wege der Müßiggänger, die Wege der alten Leute. Sie lockten kurz und sahen ein, dass sie gegen meinen Willen  nicht ankommen würden.

Ich verharrte, bis ich mir ganz sicher war. Bis ich jeden einzelnen Gedanken, der dagegen gesprochen hätte, hervorgeholt, durchdacht, hin und her gewendet, bewertet und verworfen hatte. Jedes bisschen, dass mich hätte zweifeln lassen, an mir und meinem Weg, zerrte ich an die Oberfläche und erkannte es als das, was es war. Falsch, unnatürlich und die Keimzelle des Haders. All das verbannte ich Stück für Stück aus meinem Wesen und verwarf es, dass es mich nie wieder versuchen würde, mich fehlzuleiten.

Ich war Nisha Schadrach, die Anwärterin.

Dies war mein zweiter Pfad."

Siebtes Bild

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"Als ich den Berg hinab stieg und die eiserne Arche erreichte, war es dort nicht, wie ich es erwartet hatte. Keine Feierlichkeit war vorbereitet. Alles war in heller Aufregung. Als ich näher kam und hinein ging, hörte ich mit jedem Schritt Fetzen der Neuigkeiten. Je weiter ich ging, desto ungeheuerlicher wurde, was ich mir daraus zusammen reimte. Die Erstgeschöpfte war nicht mehr. Ermordet vom Orden. Des Haders bezichtigt. Meine Freunde, meine neue Familie, mein neuer Pfad, die denen ich mich heute versprechen wollte. Sie hatten Intaro Rhiannon ermordet! Verrat! Aber von wem? Das konnte nicht sein. Intaro Rhiannon soll gehadert haben? Nein. Das konnte nicht sein! Der Orden soll sie getötet haben? Der Orden lauter Verräter? Auch das konnte nicht sein. Blind vor Tränen und taub vor Verzweiflung rannte ich hin zum Ort des Frevels. Chaos und Verwüstung empfingen mich. Tod, Trauer und Hass. Grenzenlose Enttäuschung und tiefste Verzweiflung. Es war, als würde das Land selbst weinen."


Achtes Bild

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"Und zwischen all dem ein Ton. Eine Melodie. Das Lied des Lebens, gesungen von der Sterbenden Rhiannon. Es berührte mich in meiner Seele. Es machte mich sehend, wo meine Augen versagten, es leitete meinen Willen, wo Verzweiflung und Enttäuschung mich willenlos zu machen drohten. Es führte mich hinaus ins Land und hin zu den Orten, an denen ich die Splitter fand. Das leiser werdende Lied schien von ihnen auszugehen. Ich barg sie. Einen nach dem Anderen. Die Welt um mich verschwamm und trat zurück. Von Einem zum Nächsten hastete ich.

Stolperte. Fiel. Stand wieder auf.

Es war zu viel. Mein Geist tat es der Welt gleich und zog sich zurück. Gab den Weg frei für einen anderen Willen. Für das geflüsterte Lied.

Als ich später zu mir kam, lag ich im Wald. Irgendwo. Es war stockdunkle Nacht, meine Kleidung und meine Hände waren zerschunden. Die Waffe verloren. Es war egal. Ich horchte dem Lied nach, versuchte noch den letzten der Töne zu erhaschen, als es langsam verklang und nur die Erinnerung in meiner Seele haften blieb. Und die fünf Splitter, die ich an mein Herz presste."

Neuntes Bild

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"Ich wusste nicht, wohin ich mich wenden sollte. Zurück zum Orden? Nein. Zurück in mein altes Leben? Keinesfalls! Es war mir nur noch eine Sache geblieben, ein Pfad von Mannigtausend. Klar und deutlich vor mir. Ein Beginn, eine Richtung, ein Weg. Ich musste diese Splitter beschützen. Wovor? Wenn ich das nur gewusst hätte. Jeder, dem ich vertraute, stand in Frage. Alles, worauf ich meinen Lebensabend, meine späte Berufung, aufbauen wollte, lag in Trümmern.

Ich ging in den Untergrund. Knüpfte heimlich und vorsichtig neue Kontakte, zapfte in aller Verschwiegenheit alte und neue Geldquellen an und begann von vorne. Ich schaffte mir ein neues Standbein. Weil nichts anderes blieb. Auch zum Orden nahm ich nach einiger Zeit verstohlen Kontakt auf. Vor allem um Tenzin Berani war es mir gelegen. Ich schrieb ihm Briefe, meinem Freund. Ich wollte herausfinden, ob ich mich auch in ihm getäuscht hatte und ich wagte langsam, ein kleines Stück weit zu hoffen. Ich rief ihn zu mir."

Zehntes Bild

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"Tenzin Berani folgte meinem Ruf. Er war wahrhaftig mein Freund. Er hatte die Farben, seine Wappen und seinen Schwur hinter sich gelassen und suchte nach mir. Wieder vereint, machten wir uns daran, eine neue Zukunft  zu gründen, den neuen Weg zu beschreiten. Wir bauten nicht auf Schwüren, wir bauten nicht auf Gewalt, nicht auf einer Festung.

Wir bauten auf Freundschaft und den unbezwingbaren Glauben daß wir Rhiannons Erbe für die Welt bewahren mussten. Zusammen mit anderen, die schon der Rhiannon gefolgt waren und nun versprengte waren, wie wir selbst, gründeten wir eine Gemeinschaft, die den Schutz der Splitter zum Zweck hatte. Nicht Stärke und Kampf sollten unsere ersten Methoden sein, sondern Heimlichkeit und List. Wir zogen uns zurück auf eine Insel. Spärlich bewohnt und ein bisschen vergessen. Wir gaben uns ein Wappen, das das Schwert zeigte, zu dem sich die Splitter vereinen zu wollen schienen und eine der Blumen, die auf der Insel wuchs. Eine Lilie, wie ich dachte. Ha. Später erfuhr ich, dass ich in der Botanik keine Leuchte war und die Insel ob ihrer Blumen die Krokusinsel geheißen wurde. Wo wir einen Namen brauchten, nannten wir uns Orden vom Letzten Schwert der Rhiannon, auch um die Verschleierung zu verstärken. Wir versuchten lange, keinen Staub aufzuwirbeln, obgleich bekannt sein musste, wo wir waren, zumindest ungefähr. Die Leute in dem winzigen Fischerort, in dem wir uns niederließen, die Leute in Irida, sie nannten uns einfach den Lilienorden. Mir war es recht. Viele Namen und keiner weiß so recht wie er uns fassen soll."

Elftes Bild

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"In den folgenden Jahren gelang es mir, einige der Geheimnisse um die Splitter, Rhiannonssplitter wurden sie inzwischen genannt, zu entschlüsseln. Unsere Fünf waren beileibe nicht die Einzigen in der Welt. Ich wollte das Lied wieder hören. Zu einem gewissen Teil gelang es mir. Es war die letzte größere Tat in meinem alten Beruf. Ich schaffte es, die Splitter in mich aufzunehmen und zu einem Teil meines Selbst zu machen. Sie standen mir bei und hielten mich.

Immer mehr verspüre ich nun mein Alter. Die Splitter und den Orden vom letzten Schwert führt nun mein Freund Tenzin. Ich bin die alte Frau, die jeder gerne hat, zumindest jeder, der sich in meiner Umgebung aufhält.  

Ich weiß, dass Du da bist und auf mich wartest.

Ich bin Nisha Schadrach, die erste Lilie.

Ich bin bereit."




OT-Informationen

Verwaltende Orga: Markt der Wispa