ITT Die Erweckung der Meline

Aus Athyria Wiki
Spielwelt(en):Athyria
Urheber:innen:Wolfgang Weber
Mitwirkende:Imke, Olav
Jahr:2022

Die Erweckung der Melinè

Siebenunddreißigstes Lehrstück von Mystik, Hermetik und Pragmatik

Lushat, die Mystikerin, sah sich in der Kammer um. Alles war ihr vertraut. Die rauen Wände aus Felsen gemauert. So fest und stabil fast wie der Fels der Berge selbst, dabei doch noch so weit weg von der Handwerkskunst der Festung über ihr, wie es ging. Nur nicht den Klang der Welt weiter verändern als nötig. Die schmalen Gesimse an der Wand, allerlei Gerätschaften.  Dann der Boden. Erde wie gewachsen, im äußeren Kreis noch gestampft, dann der Kreis der Sänger. Ein jeder Platz erkenntlich an den beiden parallelen länglichen Flecken, wo ihre nackten Füße den Lehm geglättet hatten, an den braunen Verfärbungen hie und da, wo ihr Blut den Boden getränkt hatte, zum Zeichen ihrer Hingabe. In der Mitte das zerwühlte Erdreich. Schwach erkennbar die lange, flache Kuhle, wo der Letzte aufgestanden war. Zuletzt sah sie an sich herunter. Das Weiße Gewand, das sie trug. Es verbarg weniger, als es zeigte. Sie fühlte sich darin nicht nackt und nur darauf kam es an. Wie es ihr und den Sängern dabei ging. Ob es sich richtig anfühlte. Das tat es bisher immer. Vielleicht heute nicht. Dann würde sie hinausgehen und es wechseln. Irgendetwas passendes würde sich finden. Weiter nach unten, ihre Beine, die nackten Füße, die auf dem Boden standen. Der feine trockene Lehm zwischen ihren Zehen. Rein und unbefleckt, kein Blut, denn ihr Weg war ein anderer.

Viele Male hatte sie hier gestanden und die Sänger angeleitet, das Turibulum geschwenkt, die Atmosphäre geschaffen, in dem sich der Wille aller Sänger auf das eine Ziel richten konnte.

Viele Male hatten sie es getan. Den Ritus zum Abschluss gebracht, den sie über den Leichen der Brüder und Schwestern begonnen hatte. Zurückgeholt die Wenigen, die sie waren. Stets hatte sie die Angst zurückdrängen müssen. Das nagende Gefühl, sie würde es übertreiben, die geflüsterten Worte der Stimmen in ihrem Kopf, ob das nicht schon der Hader sei, beruhigen. Stets rief sie sich ins Gedächtnis daß sie die Welt bat. Sie nicht zwang. Ihr einen Handel anbot. Die vereinte Kraft ihrer Geister, der Wille jedes einzelnen der Sänger gerichtet auf die Welt, ihre Kraft darbietend im Austausch für ein weiteres Mal. Im Austausch für eine weitere verlorene Kämpferin im Austausch für eine weitere Gelegenheit, ihren Zweck zu erfüllen.

Reynard hatte sie ausgelacht, als sie derlei äußerte. Wie immer in ihren Disputen hatte er begonnen zu dozieren. Sie konnte seine klare, helle Stimme in ihrem Kopf hören, als sie daran zurück dachte.

Neinnein. Vom Hader sind wir an dieser Stelle weit entfernt. Wir zwingen niemanden zurück zu kommen, genügend Beispiele haben wir, wo es hätte klappen müssen, aber nichts sich tat. Wir betrügen nicht das Land. Die, deren Zeit gekommen ist, vergehen. Nur die, die noch eine Aufgabe haben kommen wieder.

Ihr Verstand vermochte solcherlei Ausführungen zu folgen, doch hörte sie im Gegensatz zu ihm auf ihr Herz. Und das war bange jedes Mal, dass sie sich der Notwendigkeit beugte.

Wir sind wenige. Der Feind ist viele. Wir dürfen nicht scheitern. Kohrons Worte drängen sich nun in ihren Geist. Der Pragmatiker wischte komplizierte Bedenken meist mit solch einfachen Tatsachen fort.

Bis in die Tiefe verstanden sich die drei mächtigsten Magii der Lilien nicht. Doch brauchten sie einander. Vertrauten einander. Und passen aufeinander auf, damit ein Einzelner nicht in die Irre ging.

Sie schüttelte die Gedanken ab. Zurück zum Wesentlichen. Melinè war ihr Name. Eine der Vinarii Kundschafter. Es war das erste Mal, dass es sie erwischt hatte, was es nicht einfacher machte. Und es blieb fast nichts von ihr zurück, dem sie das Totenritual angedeihen lassen hätten können. Ihr Kamerad hatte lediglich einen abgetrennten Finger in einem blutigen Lappen bergen können. Ob das reichte, um der Seele einen weltlichen Anker zu geben, war höchst fraglich. Reynard hatte es trotzdem versucht und der Boden hatte den Finger aufgenommen. Es könnte also sein. Sie musste es versuchen. Wenn es nicht klappte, war zwar die Anstrengung umsonst, aber sie hatten zumindest die Sicherheit, dass die Seele auf dem richtigen Weg war. Andersherum gesehen wäre das Schicksal, dass Melinès Seele erwartet hätte, wenn sie warten würde und keiner es versuchte, viel zu entsetzlich, als dass sich der Gedanke es zu unterlassen überhaupt formen konnte.

Es würde nicht einfach werden. Dem Ritus seinen gewohnten Gang zu lassen und auf die Erfahrung, die der Chor im Zusammenwirken hatte, zu vertrauen, verbot sich. Sie würden helfen müssen, den Körper zu formen. Das, was an Erinnerung über seine Beschaffenheit vielleicht schon verloren wäre, würden sie beisteuern müssen.

Unfug! hörte sie Reynards Stimme in ihrem Kopf. Die Information über die Beschaffenheit des Körpers liegt im Schattenbild begründet und das besteht mindestens so lange, wie die Seele erweckbar ist.

Sofort sprang ihr Khoron bei: Lass sie. Wenn die Vorstellung ihr hilft, ihren Willen und den des Chores richtig zu lenken, dann ist sie so gut wie jede andere.

So oft hatten sie solcherlei Gespräch schon geführt, dass es gar nicht notwendig war, dass die beiden bei ihr waren. Sie vermochte ihre Gedanken für sie zu denken, ihre Worte für sie zu sprechen und ihren Beistand alleine in ihrem Geist zu spüren.

Sie kniete sich vorsichtig hin. Bemüht, ihren Standplatz nicht zu verlassen und die Erde des Erstehungsbettes nicht zu stören. Dann breitete sie vor sich aus, was sie vorbereitet hatte.

Direkt zu ihren Füßen legte sie eine Kette ab, Zähne, Knochen und Federn, durchbohrt und auf eine Schnur aus Pferdehaar gefädelt. Pferdehaare für die Ausdauer der Frau. Zähne von Wolf und Fuchs für Kraft und Geschmeidigkeit. Federn von Eule und Habicht für Heimlichkeit und Schnelligkeit, sowie das Zungenbein einer Vinarii. Zum Zeichen, was für ein Wesen sie war. Letzteres war beinahe die düsterste Komponente des Rituals, bedeutete es doch, dass irgendwo eine Vinarii gestorben war, ohne dass jemand ein Totenritual für sie abgehalten hatte. Dass ein Wesen einsam und alleine gestorben war. Mit Schauer dachte sie an die winzige Kammer, in der sie derlei Zutaten verwahrten.

Du schweifst ab. Nun wo sie angefangen hatte, stand Reynard ihr bei. Du wirst diese Bedeutungen dem Chor erklären müssen, damit ihr Euch gemeinsam fokussieren könnt.

Wären das wirklich seine Worte gewesen, so wäre sie zornig auf ihn geworden, ihre Kompetenz anzuzweifeln. So jedoch war es ihr eigener Geist, der seine kontrollierte Seite mit seiner Stimme sprechen ließ.

Weiter. Die Dinge, die man unter Melines Habseligkeiten als die persönlichsten, die sie nicht bei sich trug, identifiziert hatte. Ihren Lilienwimpel. Eine Kinderpuppe, die unter ihrem Kopfkissen gefunden worden war, und ein unvollendeter Liebesbrief, den sie niemals abgeschickt hatte. Zum Schluss noch der vergiftete Dolch, der gerade in der Schmiede zur Reparatur war, als sie zu ihrem letzten Auftrag aufgebrochen war. Viel war es nicht, doch es musste genügen.

Zeit den Chor zu rufen.