ITT Tagebuch von Urthan, den Strahlenden

Aus Athyria Wiki
Spielwelt(en):Athyria
Urheber:innen:Anja Schöder, Sarah Kisliuk
Mitwirkende:
Jahr:2025

Übersetzt in die allgemeine Handelssprache von Alavandra der Sinnenden zur Bewahrung des Wissens

Tagebuch von Urthan, dem Strahlenden

Oh, glühender Morgenstern, wie prachtvoll erhebst du dich über das Reich, das wir aus Träumen und Hoffnung errichtet haben. Heute standen wir Schulter an Schulter, Kiamondh und ich, während er den Eid der Fürsten entgegennahm. Sein Lächeln – es schien mir, als ob er selbst die Sonne in Ehrfurcht vor ihm innehielt. Doch inmitten des Jubels kroch eine leise Sorge in mein Herz.

Ich sehe den Glanz in seinen Augen, aber auch den Schatten, der hinter ihnen lauert – die Last eines Traumes, der größer ist, als ein Sterblicher zu tragen vermag. Er spricht von Einheit, von Licht und Frieden, doch weiß er, dass auch Schatten zur Welt gehören? Oder verwehrt ihm sein Streben, dies zu sehen? Ich fürchte, sein Herz könnte zerbrechen, sollte es je die Dunkelheit berühren.

Und doch – wie könnte ich ihn nicht lieben? In seiner Nähe fühlt sich mein eigenes Herz wie eine Flamme, die nie erlöschen wird. Ich, Urthan, bin bereit, diesen Traum bis ans Ende der Welt zu tragen – für ihn, immer für ihn.

****

Die Felder von Lysandros stehen in voller Blüte, ein Spiegelbild dessen, was wir gemeinsam aufgebaut haben. Heute habe ich Kiamondh begleitet, als er die Ernte gesegnet hat. Sein Lächeln war wie immer warm, und seine Worte zündeten Funken in den Herzen der Untertanen seines Reiches. Doch als er sich abwandte und der Wind sein Haar zerzauste, sah ich ihn – nicht den König, sondern den Mann, der all dies trägt.

Kiamondh wirkte abwesend, sein Blick streifte die fernen Hügel, als ob etwas jenseits unserer Sicht ihn rief. Ich fragte ihn, was ihn bedrückte, und er lachte. „Nichts, mein Freund,“ sagte er. „Der Wind ist nur eine Mahnung, dass noch viel vor uns liegt.“ Seine Stimme war fest, doch ich hörte den Riss, der sich darunter verbarg. Er hat begonnen, die Last seines Traumes allein zu tragen – eine Last, die selbst seine Schultern nicht ewig tragen können.

Ich habe mich gefragt, ob ich ihm meine Hand auf die Schulter legen sollte, doch meine Finger verblieben an meiner Seite. Wie könnte ich ihn trösten, ohne zu viel zu verraten? Ich bin sein Ritter, sein Schwert, sein Schild – aber niemals der, der ihn halten kann, wenn er fällt.

Oh, Kiamondh, was ist mein Platz an deiner Seite? Ich kämpfe für dich, sterbe für dich – doch ist das genug? Eines Tages wirst du mich nicht mehr brauchen, und dann werde ich nur ein Schatten in deinem Licht sein. Und doch kann ich nicht von dir lassen. Jede Hoffnung, die ich habe, trägt deinen Namen.

Wenn der Wind die Blumen von Lysandros streift, frage ich mich, ob er dir zuflüstert, was ich nie zu sagen wage.

*****

Die Finsternis brach nicht in Tat über uns hinein. Sie begann mit einem Zweifel, einem kleinen Flecken in der makellosen Reinheit, die ich mir stets bewahrt hatte.

Lange schon sehe ich es kommen – den Schatten in den Augen derer, die Kalistras Worte hören und in ihnen nicht das Gleichgewicht finden, sondern eine Entschuldigung für ihre Schwäche. Ich sehe sie in den Hallen von Lysandros, die Männer und Frauen, die zögern, wenn von Licht und Reinheit gesprochen wird, die mit abgewandtem Blick lauschen, wenn Kiamondh von der strahlenden Zukunft des Reiches spricht. Und stets ist es Kalistras Stimme, die sie leise an sich bindet, die ihnen eine vergifte Wahrheit in die Ohren träufelt, die nicht sein darf.

*****

Es gab Zeiten, da bewunderte ich Kalistras Klugheit. Sie war die Stimme der Weisheit an Kiamondhs Seite, die scharfe Klinge der Vernunft, die ihm die Wege aufzeigte, die er aus reiner Güte nicht sehen konnte und wollte. Doch was einst Weisheit gewesen war, ist nun Zweifel geworden. Was einst ein Licht war, ist nun ein Schatten, der sich in den Herzen der Unentschlossenen einnistet.

*****

Ich sehe es überall. In den Straßen der Stadt, wo jene, die sich einst in Kiamondhs Vision vereinten, nun leise fragen, ob es nicht auch andere Wahrheiten gibt. In den Tempeln der Hegemone, wo die alten Symbole, die Kiamondhs Lehren aus dem Glauben behutsam und sanft, Stück für Stück verbannt hat, in verborgenen Winkeln weiterleben.Ich sehe es in den Augen meiner eigenen Gefährten, die von Kalistras Reden mit einer seltsamen Unruhe zurückkehren, einer Unruhe, die ich nicht ertragen kann.

*****

Nach den langen Jahren als Gefährtin ist Ormanda nun in goldenen Ornat vor das Reich getreten und verkündete, dass sie erneut eine Tochter des Reiches in sich tragen würde. Sie ist bereits die Mutter dreier seiner vielen Kinder. Ich bin glücklich für Kiamondh, das bin ich wahrhaftig. Doch in den dunkelsten Stunden der Nacht liege ich so manches mal wach und frage mich, ob alles anders gekommen wäre, wenn ich nur ein wenig mutiger gewesen wäre. Ich frage mich… Doch, warum grämen. Ich habe eine Aufgabe, die mich erfüllt, und es macht mich stolz. Um viel mehr kann ein wundes Herz nicht bitten.

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Es war ein Abend in der großen Halle, die Schatten krochen lang über den Boden. Kiamondh, in seinem goldenen Mantel, stritt mit ihr. Ihre Stimmen hallten von den Wänden wider, scharf und unausweichlich wie Klingen, die aufeinandertrafen.

„Sie verstehen es nicht, Bruder“, sagte Kalistra ruhig, aber eindringlich. „Du kannst nicht die eine Hälfte der Wahrheit nehmen und die andere verwerfen. Schatten werden nicht durch Licht getilgt – sie wachsen nur, wenn du sie verleugnest.“

„Das Reich muss rein sein“, entgegnete Kiamondh, und in seiner Stimme lag die Leidenschaft eines Mannes, der eine Welt errichten wollte, die über die Fehler der Vergangenheit erhaben ist. „Wie kannst du nur glauben, dass ich zulassen werde, dass wir wieder in Dunkelheit versinken?“

Ich stand mit geballten Fäusten dabei, sog jedes Wort in mich auf. Ich wusste, was in Kiamondhs Herz lag – wusste, dass dieser Streit ihn innerlich zerriss. Kalistra war nicht nur seine Schwester, sie war seine andere Hälfte, das Licht, das ihn oft geführt hatte. Aber ich sah, was Kiamondh nicht sehen wollte: Sie war auch die verdorbene Wurzel der Finsternis, die das Reich vergiften würde.

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Heute wurde das lange Überfällige, das Unausweichliche, Wirklichkeit. Kalistra wurde verbannt. Kiamondh sprach das Urteil mit schwerem Herzen und fester Stimme. Nur wer ihm ganz nahe war konnte sehen, dass seine Hände, die das Zepter der Morgenröte hielten zitterten. Falion ging mit ihr, unerschütterlich in seiner Treue. Ich sah es in Kiamondhs Augen – den tiefen Schmerz, den Bruch, den er nicht verhindern konnte. Doch es musste geschehen. Ich hoffe, dies ist nun das Ende dieses unglücklichen Kapitel unseres Reiches.

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Einige Wochen sind seit der Verbannung vergangen, und Volk ist nicht still. In den Straßen wird gemurmelt, auf den Plätzen wird gesprochen. Viele sind aufgewühlt, verstört – sie fragen, warum die Weisheit von ihnen genommen wurde, rufen ihren Namen. Sie begreifen nicht, dass Kalistra Zweifel säte, dass sie das Fundament des Reiches untergrub. Ich sehe Kiamondh, wie er nach Erklärungen ringt, wie ihn die Gegenrede zermürbt. Warum verstehen sie nicht? Warum lassen sie nicht ab von den Dunklen? Warum erkennt das Volk nicht, dass nur Reinheit Bestand haben kann?

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Berichte erreichen mich. Kalistra ist nicht verschwunden. Sie lehrt weiter, im Verborgenen. Sie verbirgt sich in den Wäldern, und ihre Worte leben fort. Einige Gelehrte, einige Priester flüstern von ihr, als wäre sie noch hier. Ich sehe es in den Blicken eines und einer jeden Einzelnen– ein verborgener Funke, der nicht vergehen will.

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Es gibt nur eine Wahrheit, und Kiamondh weiß es. Doch Kalistra lässt ihm keine Wahl. Sie wird das Reich zerreißen, wenn man sie weiter gewähren lässt. Ihre Anhänger werden mit jedem Tag zahlreicher, ihre Worte verhängnisvoller. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis der erste Funke auf das trockene Holz der Ordnung fällt. Es wird Zeit, dieser ganzen Sache mit Recht und Ordnung zu begegnen.

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Je schärfer die erlassenen Edikte, desto größer der Widerstand. Sie sprechen noch immer von ihr, von Vollkommenheit, von einer Wahrheit, die mehr ist als nur Licht. Ihre Worte sind der Schierlingtropfen, der in den nimmerleeren Becher der Stabilität unseres geliebten Reiches fällt. Ich sehe, wie Kiamondh darunter leidet. Er schweigt viel, er zieht sich zurück. Sein Traum zerbricht vor seinen Augen, die jeden Tag müder in die Welt blicken

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Ich liege wach, das Gewicht einer ewigen, unverbrücklichen Erkenntnis schwer auf meiner Brust. Ich liebe Kiamondh. Ich liebe ihn mit einer Reinheit, die keine Zweifel duldet. Und mit jeder Stunde, die vergeht, wird mir klarer, dass Kiamondh niemals selbst die Entscheidung treffen wird, die getroffen werden muss.

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Es gibt keine andere Lösung. Keine Worte, keine Bitten, kein Kompromiss. Die Welt muss rein bleiben, und Kalistra ist der Makel, der diese Reinheit befleckt.

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Die Nacht wogt wie ein schwarzer Schleier über den Mauern von Lysandros, und in meinem Herzen brennt ein Feuer, das alle Sterne am Himmel verdunkeln könnte. Heute habe ich die Kunde von Kalistras verdorbenen Lehren erneut vernommen, ein Gift, das sich durch unser Volk windet wie eine Schlange, heimtückisch und voller Verrat. Ihre Worte, so süß wie Honig, verbergen die Dornen der Dunkelheit, die sie unentwegt streut.

Sie spricht von Vollkommenheit – von Einheit zwischen Licht und Schatten. Doch ich sehe in ihrem Tun nur den Samen des Verderbens. Was sie predigt, mag in den Ohren mancher wie Weisheit klingen, doch es ist ein schleichendes Laster, das unser Königreich ins Chaos stürzen wird. Schatten sind keine Brüder des Lichts; sie sind sein Feind, sein unbarmherziger Widersacher! Kalistras Beharren, das Dunkel zu umarmen, ist nichts anderes als Verrat an dem, was Kiamondh aufgebaut hat. Es ist Verrat an seiner Vision, seiner Wahrheit – und an ihm selbst.

*****

Kalistra, meine einstige Schwester im Geist, hat vergessen, dass das Licht uns leitet, dass es uns erhebt über die Tiefen, die uns zu verschlingen drohen. Sie hat den Weg verloren, und mit jedem Schritt zieht sie weitere in ihren Fall. Ich frage mich, ob sie je wirklich glaubte, oder ob sie immer schon dem Zwielicht anhing. Wie konnte sie sich von ihm abwenden, von Kiamondh, von allem, was wir gemeinsam geschaffen haben?

Mein Herz schreit nach Gerechtigkeit. Ich sehe Kiamondh Leiden, seine Nächte schlaflos, seine stille Verzweiflung. Ich werde es nicht länger dulden. Ich werde das Schwert erheben und all jene niederstrecken, die es wagen, den finsteren Hegemonen zu dienen. Kalistras Worte haben sie genährt, ihre Ideologie ist der Nährboden für diese Blasphemie. Doch ich werde nicht ruhen, bis kein Schatten mehr bleibt, der ihr zu folgen wagt.

*****

Kalistra, ich weiß nicht, ob ich dich mehr hasse oder betrauere. Vielleicht beides. Du warst einmal ein Stern am Himmel, doch nun bist du ein stürzender Komet, der alles niederbrennt, was wir liebten. Dein Bruder mag in seinem edlen Herzen zweifeln, doch ich werde es nicht. Der Zorn des Lichts wird über dich kommen – durch meine Hand, wenn es sein muss.

Ich werde alles tun, um Kiamondh zu schützen. Wenn das bedeutet, die Klinge gegen dich zu führen, dann werde ich es tun. Für ihn. Für unser Reich. Für das Licht.

Der Schwur steht. Die Dunkelheit wird brennen.

Ich habe einst geglaubt, dass meine Hände nur für den Schutz des Reiches geschaffen wurden. Dass einzig mein Schild dazu dient, die Feinde des Lichts abzuwehren, das Schwert an meiner Seite gebunden im immerwährenden Friedensknoten, den Kiamondhs Traum uns allen schenkt. Doch in dieser Nacht erkenne ich die Wahrheit:

Manchmal ist Schutz kein Schild. Manchmal ist Schutz das Schwert, das bereit ist, die dunkelste Tat zu vollbringen, damit das Licht nicht verlöscht. Der Friedensknoten muss gelöst werden. Wenn auch nur einmal, für eine Nacht. Ich habe keine Wahl. Es muss getan werden. Morgen wird es soweit sein. Morgen zur finstersten Stunde wird die Finsternis ein für alle mal ausgetrieben werden. Und wir werden davon frei sein. Für Immer.

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Die letzte Nacht und das, was heute kam, waren schlimmer, als ich es mir ausgemalt habe, ausmalen konnte. Blut tränkt meine Hände, und kein Gebet kann es fortwaschen. Ich habe die Frau getötet, die ihm am nächsten war – Kalistra, seine Schwester. Sie hat es über sich selbst gebracht, und doch… Das Blut tränkt meine Hände, und wenn ich sie auch das hundertste mal in das eisige Wasser tauche, ich kann es nicht fortwaschen.

Doch war es nicht nur sie, die ich niederschlug, nicht nur ihre Lehren, sondern den Schatten, den ich auf seinem Herzen wähnte.

Ich rannte zu ihm, ich wollte mein Herz rein machen und es ihm beichten und hoffte darauf, dass er es verstehen würde und sehen würde, dass es das einzig richtige war.

Kiamondh sprach nicht. Er sah mich nur an, sein Blick war voller Schmerz, den ich nie wieder vergessen werde. Ich habe geglaubt, dass dies ihn retten würde, doch stattdessen habe ich ihn zerstört. Meine Liebe war ein Dolch, der ihn ins Herz traf, und ich habe ihn geführt.

Verzeih mir, Kiamondh. Verzeih mir für das Leid, das ich über dich gebracht habe.

*****

Kiamondh spricht nicht mehr mit mir. Er spricht mit niemandem mehr. Seine Augen sind leer, als hätte ich ihm mehr genommen als nur seine Schwester. Er sagt, er wird sich zurückziehen, um zu meditieren, um einen Weg für das Reich zu suchen, wo keiner mehr möglich scheint. Doch ich weiß, das ist eine Lüge. Er sucht keine Antworten. Er sucht nur Abstand. Abstand von mir. Er hat mein Geständnis für sich behalten. Vorerst. Zu schwer sein Herz, um eine gerechte Entscheidung zu treffen, sagt er. Doch sehe ich nur die leere in seinem Blick und ich bin mir einer Sache gewiss: Er will nicht auch noch mich verlieren.

*****

Ich habe versucht, mit ihm zu sprechen. Ich stand lange vor seiner Tür, meine Hand erhoben, bereit zu klopfen. Doch die Wachen hielten mich auf. Sie sagten, er wolle niemanden sehen. Nicht mich. Nicht den Mörder seiner Schwester.

So habe mich in den Kampf gestürzt, in die Arbeit, in die Verwaltung des Reiches, um nicht daran zu denken. Doch jedes Mal, wenn ich durch die Hallen schreite, wo einst sein Lachen widerhallte, zerbricht etwas in mir.

*****

Heute war ein Ratstreffen. Ein leeres Schauspiel. Die Fürsten fragten nach Kiamondh, doch er erschien nicht. Sein Platz war leer, sein Schatten hing  über uns. Ich musste die Worte sprechen, die er hätte sagen sollen. Ich musste Entscheidungen treffen, die er nicht mehr treffen will.

Ich habe die Führung übernommen. Es gibt keine Alternative. Das Reich braucht einen starken Arm, eine klare Richtung. Ich werde das Reich bewahren, wie es stets meine Aufgabe und mein erstes Ideal war. Ich werde da sein, wenn alle anderen gehen.

*****

Die Stimmen der Zweifler erheben sich wieder. Sie flüstern Kalistras Namen in dunklen Gassen, sprechen von einer Wahrheit, die nicht sterben kann. Sie rufen nach der Triade der Asche, nach der Vollkommenheit, die Kalistra gepredigt hat. Ich werde sie nicht gewähren lassen. Ich werde ihr Vermächtnis ausmerzen.

*****

Die Verfolgung hat begonnen. Ich habe befohlen, dass jeder, der sich der alten Lehren hingibt, verhaftet wird. Sie sagen, ich bin hart. Doch das Reich braucht Härte. Es darf keinen Zweifel geben, keinen Blick zurück. Wer Kalistras Pfad folgt, folgt dem Untergang.

*****

Die Sonne neigte sich dem Horizont entgegen, als ich davon hörte. Intaro Rhiannon, die Erstgeschöpfte, wandelte wieder durch unsere Hallen, und es schien, als ob selbst die Mauern ihren Atem anhielten. Ihre Präsenz war mehr als nur körperlich; sie war das lebendige Lied der Schöpfung, ein Echo der Ewigkeit in sterblicher Gestalt.

Das erste mal seit sehr langer Zeit sah ich Kiamondh und mein Herz machte einen Sprung. Er führte sie durch die Gärten. Ihre Gespräche waren leise, doch das Lachen, das zwischen ihnen aufstieg, war wie Musik, die längst vergessene Saiten in meinem Herzen zum Klingen brachte. Es war, als ob zwei Seelen, die seit Anbeginn der Zeit getrennt waren, endlich zueinander gefunden hatten.

Ich beobachtete sie, und in mir wuchs eine bittersüße Melancholie. Kiamondh, mein König, mein Freund, fand in ihr nach all der Zeit wieder eine Gefährtin, die seine Träume und Hoffnungen teilte. Sie waren seit der Zeit vor der Gründung nicht mehr beisammen gewesen. Zu unterschiedlich waren ihre Wege nach Venjas Geburt gewesen, zu unterschiedlich die beiden und einander doch so ähnlich.

Intaro Rhiannon ist ein Wunder, ein Geschenk der Ewigen. Ihre Weisheit und Anmut sind unbestreitbar. Sie wird Kiamondh aus der Trauer seiner Seele führen. Ich weiß es.

*****

Ich schreibe diese Zeilen mit einer Hand, die schwerer ist als je zuvor. Ich habe Dinge gehört, die kein Ohr hören sollte, Dinge, die mein Herz zerreißen.

Die Nacht war still, nur der ferne Wind flüsterte zwischen den Mauern. Ich stand im Schatten eines Torbogens, verborgen zwischen den Säulen, während Kiamondh und Intaro sich auf den Stufen des Palastes niederließen. Sie sprachen leise, fast als wollten sie die Worte nicht mit der Welt teilen. Doch ich hörte jedes einzelne.

„Du wirkst müde“, sagte Intaro, ihre Stimme war sanft, wissend.

Kiamondh lachte leise. Doch es war kein fröhliches Lachen. „Müde? Nein, Intaro. Ich bin erschöpft über jedes Maß. Mein Weg ist ausgetreten in den immer selben Pfaden. Ich kann nicht mehr weiter wandern.”

Ich wollte hinaustreten, wollte ihm sagen, dass sein Weg noch nicht enden darf. Doch ich stand da, gefangen zwischen Zweifel und Verlangen. Intaro betrachtete ihn lange, und in ihrem Blick lag kein Schmerz, nur Verstehen.

„Unser Traum ist größer als unser Leben.“

Er nickte langsam. „Und größer als mein Tod.“

Ein Sturm tobte in mir. Ich wollte schreien, wollte ihn aufrütteln, ihm sagen, dass das Reich ihn braucht. Doch sie sprachen weiter, ruhig, wissend. Sie erinnerten sich an vergangene Tage, an die Blumen der Gärten, an Sterne, die einst Hoffnung brachten.

Doch zwischen den Zeilen lauerte die grausame Wahrheit: Die Idee des Reiches konnte nur bestehen, wenn Kiamondh ging.

„Die Nebel“, flüsterte Intaro. „Wenn du gehst, wird das Reich im Nebel versinken, verborgen für die, die es vernichten wollen.“

„Und eines Tages wird jemand kommen, der es zurückholt“, ergänzte Kiamondh. „Jemand, der reinen Herzens ist und stark genug, den Traum neu zu entfachen.“

Ich biss die Zähne zusammen. War das seine Antwort? Die Selbstaufgabe? Die Nebel, ein Schleier, die unser Reich in Vergessenheit tauchen sollte?

„Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit“, sagte Kiamondh schließlich.

„Zeit ist ein trügerischer Begleiter“, erwiderte Intaro und nahm seine Hand. „Aber wir hatten genug, um einen Traum zu formen.“

Kein Zögern in ihren Stimmen. Kein Zaudern. Nur Gewissheit.

Die Nacht verging, und mit ihr schwand meine Hoffnung. Erst als der Morgen dämmerte, erhob sich Kiamondh. „Ich werde es Ormanda und unseren Töchtern sagen. Sie soll das Zepter tragen, bis die Zeit kommt.“

Ich konnte nicht mehr atmen. Ich wollte schreien. Ich wollte ihn festhalten. Doch meine Hände blieben an den kalten Stein gepresst. Ich bin ein Krieger, ein Beschützer. Doch in dieser Nacht war ich nichts weiter als ein Zeuge.

Kiamondh, mein König, mein Licht – bereit, sich selbst auszulöschen für das Reich.

Ich wollte es nicht verstehen. Ich konnte es nicht verstehen. Und doch wusste ich, dass ich es würde tun müssen. Denn wenn er geht … wer bleibt dann, um das Licht zu bewahren?

*****

Die Nebel ziehen auf, und mit ihnen das Ende. Ich stehe vor den Mauern des Palastes, der einst von Licht erfüllt war, und fühle nur Leere. Kiamondh hat seinen letzten Befehl gegeben. Ormanda wird ihn töten, und mit seinem Tod wird das Reich in die Nebel entschwinden. Ich hätte es aufhalten müssen, hätte ihn retten müssen. Doch ich bin nicht stark genug.

Ich habe ihn nie geliebt, wie er geliebt werden sollte. Mein Herz brennt für ihn, doch ich wusste nie, wie ich ihm das sagen sollte. Jetzt ist es zu spät. Sein Traum stirbt, und mit ihm ein Teil von mir.

Vielleicht, in einer anderen Welt, in einer anderen Zeit, hätte ich den Mut gefunden, es ihm zu sagen. Doch hier bleibt mir nur der Schatten seines Lächelns, der mich ewig verfolgen wird. Und der Schwur in die Nacht, seinen Traum zu bewahren, solange ich atme.

*****

Ich habe erfahren, dass Kiamondhs Töchter einen Pakt geschlossen haben. Ein düsteres Bündnis mit Nadira, einer Ar’Jamuun, die ihnen Zeit für das Reich erkauft hat. Kiamondh wollte es sofort in die Nebel ziehen, wollte es vergessen machen. Doch seine Töchter haben es davor bewahrt. Sie haben es bewahrt, damit ich es noch retten kann.

Kiamondh hat mir keine Zeit gegeben. Er hat sich von allem abgewandt, von mir, vom Reich. Er wollte sein Vermächtnis mit sich nehmen, wollte es den Nebeln übergeben. Doch nun … nun habe ich eine zweite Chance. Ich kann ich alles wieder gut machen, die Lehren Kalistras auslöschen und das Licht zu bewahren, für alle Zeiten.

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Ich bin nun ein Schwert ohne Scheide, ein Krieger ohne Rast. Die Dunkelheit, die durch Falions Tun über unser Reich gekommen ist, droht selbst meine Seele zu verzehren. Sein Hass hat sich wie ein Geschwür ausgebreitet, genährt von Kalistras einstiger Philosophie, die er zu einer Waffe verdreht hat. Die Vollkommenheit, von der sie sprach, existiert nicht mehr – er hat sie in eine Ideologie des Schmerzes und der Vergeltung gewandelt.

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Die Tage verstreichen, und doch fühle ich mich nicht erlöst. Ich habe Zeit gewonnen, doch zu welchem Preis? Die Töchter Kiamondhs haben ihre Seelen geopfert, um das Reich noch eine Weile in dieser Welt zu halten. Ihre Entscheidung sollte mich bestärken. Doch in meinem Herzen spüre ich nur Leere.

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Die Gefängnisse füllen sich. Ich habe entschieden, dass es nicht reicht, sie einzusperren. Wer Kalistra folgt, muss den Irrweg bereuen oder den höchsten Preis zahlen. Die öffentlichen Verkündungen sollen das Reich warnen, die Strafe soll unmissverständlich sein. Ich spüre keine Gnade mehr in mir. Dafür bleibt mir keine Zeit mehr. Vielleicht ist sie mit Kiamondhs Schweigen gestorben.

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Es gab einen Aufstand in den südlichen Provinzen. Eine kleine Gruppe von Gelehrten und Priestern der Aschetriade versuchte, ihre Lehren offen zu verbreiten. Ich ließ sie aus ihren Tempeln treiben, ließ ihre Schriften verbrennen. Ihre Anführer wurden vor den Augen der Menge gerichtet. Ich hoffte, das Volk würde verstehen. Doch ich sah Angst in ihren Augen. Und Misstrauen.

Sie sagen, ich sei grausam geworden. Doch ich frage mich: Ist es grausam, ein Reich zu bewahren? Ist es grausam, die Dunkelheit zu verbannen, bevor sie Wurzeln schlägt? Ich kann nicht zulassen, dass all das, wofür Kiamondh gekämpft hat, im Schatten der Vergangenheit ertrinkt. Sie nennen mich den Strahlenden Tyrannen, doch ich bin der Schild des Reiches.

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Heute habe ich eine Siedlung niedergebrannt, deren Bewohner seine Lehren annahmen. Männer, Frauen, Kinder – sie riefen seinen Namen, priesen ihn als Erlöser. Ich gab den Befehl, und das Licht meiner Klinge löschte ihre Stimmen. Ihre Schreie hallen noch immer in mir nach, doch ich unterdrücke sie. Es musste sein. Sie waren verdorben, Teil seines Netzes aus Schatten. Wenn auch nur ein Funke seiner Idee überlebt, wird er das Reich verderben.

*****

Manchmal frage ich mich, ob ich Falion hasse, weil bei der einen Person sein konnte, die er über alles liebte. Oder weil er mir einen Spiegel vorhält, der zeigt, wie tief ich gefallen bin. Kalistra – oh, mein Herz zieht sich zusammen, wenn ich an sie denke. Ihre Worte klingen immer noch nach, wie ein Echo in einer leeren Halle. War ich im Unrecht? War ich blind? Ich weiß es nicht mehr. Alles, was ich noch weiß, ist, dass sie Kiamondh verletzt hat. Und das werde ich niemals vergeben.

Doch wer bin ich jetzt? Bin ich noch Urthan, der Strahlende, der Mann, der einst für die Hoffnung eines besseren Reiches kämpfte? Oder bin ich nur noch ein Werkzeug des Zorns? Ich habe mich so tief in diesem Krieg gegen die Dunkelheit vergraben, dass ich nicht mehr weiß, wo ich ende und die Schatten beginnen.

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Es gibt Nächte, in denen ich von Kiamondh träume. Er reicht mir seine Hand, wie er es so oft getan hat, und lächelt. „Urthan,“ sagt er, „komm zurück.“ Doch wenn ich nach seiner Hand greife, löst sich meine eigene in Asche auf. Es ist ein grausames Spiel meines Geistes, doch ich fürchte, es ist wahr. Ich bin ein Schatten des Mannes, der ich einst war. Und doch werde ich nicht aufhören.

Falion wird fallen. Und wenn das Reich überleben soll, werde ich jeden Einzelnen vernichten, der seine Ideologie verbreitet – auch wenn ich selbst mit ihnen in die Dunkelheit stürzen muss. Denn das ist mein letzer Dienst an Kiamondh. Sein Traum wird leben, auch wenn ich jeden Tag ein wenig sterbe.