ITT Das Zepter der Morgenröte

Aus Athyria Wiki
Spielwelt(en):Athyria
Urheber:innen:Anja Schöder, Sarah Kisliuk
Mitwirkende:
Jahr:2025

Das Zepter der Morgenröte

Die Halle des Ewigen Morgens war erfüllt von goldenem Licht, das durch die hohen Fenster fiel und sich in den polierten Marmorböden spiegelte. Es war ein Tag von großer Bedeutung, wahrscheinlich der Bedeutungsvollste seit dem Schwur von Lysandros. Denn heute sollten die vier Töchter Kiamondhs das Ritual der Bänder vollziehen – der letzte Schritt, um das Zepter der Morgenröte zu vollenden und damit das erste Mal die Amendalgebiete unseres König Kiamondhs zu vereinen und das Reich von dem er träumte zu erschaffen.

Kiamondh selbst stand in der Mitte des Saals, das Zepter in seinen Händen. Seine Gestalt war aufrecht, sein Blick ruhig, doch wer ihn kannte, sah das Feuer der Hoffnung in seinen Augen brennen. Dieses Artefakt war mehr als nur ein Zeichen seiner Macht – es war das Band, das die Länder des Reiches zusammenhalten würde, die Brücke zwischen Traum und Wirklichkeit.

Um ihn herum versammelten sich die großen Weisen, die Herrinnen und Herren der Amendalgebiete, die Ritterschaft und Chronisten des Hofes. Doch am wichtigsten waren die vier jungen Frauen, die nun vortraten: Arisha, Geminna, Lucrana und Valara, Kiamondhs Töchter.

Hoch oben, auf einer der goldverzierten Galerien der Halle, stand eine Frau in tiefblauem Gewand. Ihre Gestalt war schmal, ihr Gesicht ruhig, doch ihre Augen – jene unergründlichen, in tiefem Ozeanblau schimmernden Augen – ruhten voller Wachsamkeit auf der Szenerie.

Alavandra, die Sinnende - Die Chronistin.

So kannte sie das Volk, so riefen sie selbst die Gelehrten am Hofe. Sie war jene, die das Reich in Worten festhielt, die die Geschichte mit unbestechlichem Blick aufzeichnete. Doch nur wenige ahnten, dass es ihre Hände waren, die das Zepter der Morgenröte erschaffen hatten.

Mit Hammer und Amboss und mit Willen und Wissen.

Es war Alavandra, die das Gefüge der Amendalgebiete verstand, die die Linien der Macht sah, die in der Welt verborgen lagen. Sie kannte die alten Gesetze der Herrschaft, jene, die älter waren als jede Stadt, älter als jede Krone. Und sie wusste, dass kein Einzelner wahrhaft über ein Reich gebieten konnte, wenn es nur lose Amendalgebiete waren die zufällig nebeneinander lagen.

Deshalb hatte sie das Zepter geschaffen – ein Artefakt, das nicht nur Herrschaft verlieh, sondern Kontrolle verlangte. Sicherheit. Gleichgewicht. Und es konnte nur dann seine volle Macht entfalten, wenn vier Bänder angelegt wurden. Doch Alavandra hatte nicht nur das Zepter erschaffen. Sie hatte auch jene gelehrt, die es mit ihren Bändern zu vollenden hatten.

In den Wochen vor diesem Tag hatte Alavandra die vier Töchter zu sich gerufen. Nicht in die große Bibliothek von Lysandros, nicht in den Thronsaal, sondern an einen Ort, den nur wenige kannten: die Kammer der Weisen Lichter, verborgen im tiefsten Inneren des Palastes.

Dort, inmitten von sanft schwebenden Lichtkristallen, hatte sie sie unterrichtet.

„Ihr müsst eure Bänder selbst erschaffen,“ hatte sie ihnen gesagt, während das Licht in ihren Händen zu fließen schien wie Wasser. „Denn was mit fremder Hand gewoben wird, hält nicht in Ewigkeit. Nur, was aus eurem eigenen Herzen geboren ist, kann das Zepter vollenden.“

„Aber wie, Alavandra?“ hatte Valara gefragt, ihre sanfte Stimme kaum mehr als ein Wispern.

Alavandra hatte nur gelächelt. „Indem ihr euer eigenes Wesen erkennt. Indem ihr begreift, wer ihr seid, und was euer Band für dieses Reich bedeutet.“

Sie hatte ihnen nichts weiter gegeben als vier silberne Nadeln und einen Beutel voller Stoffe und Fäden, jeder anders, jeder einzigartig. Dann hatte sie ihnen den Rücken zugekehrt und war in die Schatten der Kammer zurückgetreten.

„Eure Hände werden euch leiten,“ hatte sie gesagt. „Und eure Herzen werden euch die Antwort geben.“

Und so hatten die vier begonnen – jede auf ihre Weise.

Arisha, die Älteste, hatte in den frühen Morgenstunden gearbeitet, wenn das erste Licht durch die Fenster fiel. Sie flocht ihr Band mit der Kraft ihrer Entschlossenheit, mit jeder Faser ein Versprechen, das Reich zu schützen.

Geminna hatte sich in den stillen Hallen der Bibliothek zurückgezogen, ihre Finger tastend über alte Inschriften gleiten lassen, bis ihr Verstand wusste, welche Muster das Band tragen musste.

Lucrana hatte unter freiem Himmel gesessen, das Leder in ihren Händen, während der Wind ihre Gedanken in die Ferne trug. Sie hatte den Himmel als ihr Vorbild genommen – frei, weit, grenzenlos.

Und Valara hatte die Nächte hindurch gestickt, unter dem sanften Glanz der Sterne, ihre Gedanken lauschend in das Mysterium der Zukunft gesenkt.

Jede hatte gelitten, gezweifelt, geflucht. Jede hatte Fehler gemacht, die Naht aufgetrennt, neu begonnen. Und doch war am Ende jedes Band ein Meisterwerk – nicht wegen der Perfektion des Handwerks, sondern weil es die Seele der Trägerin trug.

Nun, an diesem Morgen, standen sie bereit. Und Alavandra beobachtete sie mit stiller Zufriedenheit.

„Ihr habt es verstanden,“ flüsterte sie leise, „und nun ist es Zeit.“

Das Ritual der Bindung

Als das letzte Band von Lucrana um das Zepter geschlossen wurde, begann das Zepter zu leuchten – nicht grell, nicht fordernd, sondern sanft und warm, wie der erste Sonnenstrahl, der über die Berge fiel. Ein Strahl von Hoffnung und Einheit.

Kiamondh hob es empor, sodass alle es sehen konnten. Sein Blick glitt durch die Halle, über die Gesichter seiner Töchter, über die Weisen und Gelehrten, über die Fürsten und Bannerträger der Amendalgebiete. In ihnen sah er Hoffnung, sah Zweifel, sah die Erinnerungen an eine Zeit, in der sie noch zerstritten gewesen waren.

Einer nach dem anderen traten die Amendalherrinnen und -Herren vor. Sie legten die Hände auf ihre Brust, dann senkten sie sie in einer Geste des Vertrauens, ließen damit das Band zwischen ihren Ländereien und dem Reich entstehen. In diesem Moment gaben sie nicht ihre Herrschaft auf – sie gaben sie in Vertrauen an Kiamondh. Ein alter Schwur, unausgesprochen und doch bindend: Er sollte nicht über sie herrschen, sondern mit ihnen.

Kiamondh schloss kurz die Augen, dann führte er mit der freien Hand eine ruhige Geste durch die Luft. Die Macht der Amendalgebiete floss zusammen, unsichtbar, doch spürbar, und band sich an das Zepter. Die Luft knisterte sanft, als ob die Welt selbst einen Moment den Atem anhielt.

Dann atmete er tief ein, und seine Stimme, ruhig und voller Kraft, erhob sich über die Stille:

„Dies ist kein Zepter eines Königs. Es ist kein Werkzeug der Herrschaft, keine Waffe, keine Kette. Es ist ein Band, das uns alle eint. Ein Band, das wir selbst schmieden müssen, jeden Tag aufs Neue.“

Sein Blick verweilte auf Urthan, dem Strahlenden, seinem treuesten Gefährten. Auf Kalistra, seiner Schwester, die immer das Gleichgewicht suchte. Auf Falion, dem Findigen, dessen Verstand das Reich mitformte. Und schließlich auf Alavandra, die Sinnende, die stets unscheinbar wirkte und doch das Fundament so vieler Dinge geschaffen hatte.

„Dies ist nicht mein Reich allein. Es ist unser aller Werk.“

Seine Stimme wurde wärmer, getragen von Dankbarkeit.

„Ich danke euch, die ihr mit mir diesen Traum erschaffen habt. Ich danke euch, meine Gefährten, die mir zur Seite standen, als dieses Reich noch nichts als eine Idee war. Ich danke euch, meine Amendalfürsten, für eure Treue, für euren Mut, für den Glauben an eine Zukunft, die größer ist als unser eigenes Streben. Heute stehen wir nicht als Eroberer, nicht als Herrscher über andere – sondern als jene, die sich entschieden haben, eins zu werden. Dies ist kein Reich, das sich über andere erhebt. Es ist ein Reich, das jedem ein Zuhause sein soll, der Frieden sucht.“

Er sah seine Töchter an, und in seinen Augen lag Stolz.

„Diese Bänder sind ein Versprechen. Kein Eid der Unterwerfung, sondern ein Schwur der Einigkeit. Jedes dieser Bänder steht für einen Teil unseres Reiches – für Treue, für Weisheit, für Mut, für Mitgefühl. Und so, wie meine Töchter ihre Essenz in dieses Zepter gewebt haben, so flechten wir gemeinsam unsere Leben in das Gefüge dieser Lande. Damit es bestehen kann. Damit es wachsen kann. Damit es leben kann.“

Er senkte das Zepter. Das Licht umspielte es, zog sanfte Muster in die Luft.

„Lasst uns gemeinsam schwören – nicht mir, nicht diesem Zepter, sondern einander. Dass wir ein Reich erschaffen, das nicht aus Stahl und Mauern besteht, sondern aus Treue, Wissen und der Kraft, einander zu vertrauen. Dass wir die Zukunft nicht fürchten, sondern sie formen.“

Ein leiser Windzug durchfuhr die Halle, trug den Klang seiner Worte in die Herzen aller. Und einer nach dem anderen senkten die Amendalfürsten das Haupt – nicht als Zeichen der Unterwerfung, sondern als stilles Versprechen.

Und in diesem Moment, in diesem sanften, wortlosen Schwur, wurde das Reich wahrhaft geboren.

Geschrieben am ersten Tag der Morgenröte von Gevrion, Schüler von Alavandra, der Sinnenden.