Die unbarmherzigen Wogen zum Gruße Admiralin,
ich hoffe, dass Euch diese Zeilen erfolgreich und bei bester Gesundheit auf der „Zierde der Tiefen“ antreffen. Eure Order für uns, die uns nach Osten sandte, haben wir so strikt wie wir nur konnten befolgt. Von den Inseln der Voykia aus führten uns Eure Anweisungen immer weiter hinaus auf das weite Meer vor dem Kontinent. Eine Voykia, Nete ist ihr Name, ließ es sich nicht nehmen, uns auf unserer Reise zu begleiten. Wir nahmen sie freudig an Bord, ist es doch eine große Ehre wenn eines Eurer Kinder mit uns zur See fährt und uns begleitet.
Von den Inseln aus nach Osten führend, wie an einer Perlenschnur, hielten wir streng Kurs und sichteten schon recht weit außerhalb zwei Boote des Feindes. Eines konnten wir versenken, ehe sie recht wussten, wie ihnen geschah. Das andere, kleiner und wendiger als wir, flüchtete und wir setzten nach. Den Kurs weiter gen Osten haltend, den dreckigen Brudermördern auf der Spur, gerieten wir in eine Nebelbank unfassbaren Ausmaßes und realisierten beinahe zu spät, dass dies wohl die Grenze ist, die man nur überqueren sollte, wenn man den Kontinent für immer verlassen möchte. Nete, die neben mir an Bord stand zu diesem Zeitpunkt, war beim Eintritt in die Nebelbank immer stiller geworden, strahlte aber mit jeder Faser eine aufgeregte Zuversicht aus, die ich in diesem Moment nicht erfassen konnte.
Ich muss ehrlich sein, denn Ihr habt mich dafür stets geschätzt und so will ich es weiter halten. Wir haben uns heillos verloren in der dicken Suppe, die die Wogensturm umgab. Letztendlich war es Nete, die uns rettete und der wir zu ewigem Dank verpflichtet sind. Sie wies uns den Weg und als wir vor uns den Schatten eines Schiffes sahen, dachten wir erst, wir hätten die Brudermörder endlich eingeholt. Doch aus den Schwaden schälte sich kein Schiff der Unsäglichen, sondern ein Wrack, das auf ein Riff aufgelaufen war. Wind, Wellen und Zeit hatten an ihm kräftig gezehrt, sodass Segel und Takelage kaum noch mehr als eine geisterhafte Erscheinung waren.
Von einer eigentümlichen Neugier erfasst, die ich selbst nicht verstehe, ließen wir ein Beiboot zu Wasser, das mit meiner Person, Alrigo und meinem Kartographen Federigo in Richtung des Wracks aufbrach. Federigo, selbst an der Feder nicht unbegabt, fertigte die Skizze von dem Schiff an, die Ihr als Beiwerk zu diesem Bericht erhaltet. Auf dem Schiff selbst war, soweit wir das von unserem Spähboot sagen konnten, nichts mehr zu holen, alles zerstört und alt und nutzlos. Bis auf dieses eine Schmuckstück, das einen urtümlichen Glanz ausstrahlte, als wir auf einen der Rifffelsen kletterten, um besser sehen zu können. Wir wagten nicht, das Schiff zu betreten oder auch nur in die Nähe des magischen Werks zu treten oder gar den Gedanken zu hegen, es zu berühren. Federigo fertigte, so gut es aus der Distanz ging, ebenfalls eine Skizze davon, die diesem Bericht beiliegt.
Wenn ich nicht schon eine abergläubische Seebärin wäre, so wäre ich es nun. Ich schwöre bei allen Fünf, dass ich dort auf dem Felsen neben dem Wrack stehend eine Melodie vernommen habe, die mein Herz auf eine Art und Weise berührte, wie ich es noch nie gespürt habe. Seitdem ist es, als wäre etwas in mir von diesen Lauten erfüllt und ich werde den Gedanken nicht los, dass ich zurückkehren muss, den Weg finden muss nach, ja…wohin eigentlich? Admiralin, ich bitte Euch inständig darum, Euch selbst ein Bild von der Lage zu machen. Nete wird diese Zeilen überbringen, das hat sie mir versprochen und ich hoffe, dass Ihr mit meinen wirren Worten mehr anfangen könnt als ich selbst.
Auf Euch hoffend,
Felicitas Kammerspiel
Kapitänin der Wogensturm
Genutzt auf der Veranstaltung "Das Vermächtnis des Weißen Raben" (2021)